Vor ziemlich genau zwei Wochen befand ich mich, sehnsüchtig mein neues Lebenskapitel erwartend, im Anflug auf Malta. Vierzehn Tage hatte ich bislang, um mich auf dieser Insel einzuleben. Vierzehn Tage, einige Busfahrten über ganz Malta hinweg, viele Reiseeindrücke und spannende Begegnungen. Verrückt, wie schnell die Zeit vergeht! Und verrückt auch, wie zügig man sich dann doch an einen gänzlich fremden Lebensstil anpassen kann.
Auf der Landkarte trennen mein heimisches Stuttgart und meine derzeitige Behausung auf Malta kaum mehr als 2.000 km, in der heutigen Zeit macht das eine Flugdauer von läppischen zweieinhalb Stunden. Mentalitätsmäßig aber, und das wird einem ziemlich schnell eindeutig bewusst, können diese minimalen räumlichen Distanzen Welten bedeuten. Deutschland und Malta teilen sich eine Zeitzone, einen Kontinent und ein politisches System - das waren dann aber auch schon die größten Parallelitäten, die die zwei EU-Mitgliedsstaaten verbindet. Von einem Kulturschock möchte ich nicht reden, aber manche Unterschiede sind dann doch so eklatant, dass sie einem einfach auffallen müssen. Und wer könnte das zielsicherer umschreiben als die einheimischen Malteser selbst?
Genau deswegen habe ich während meiner ersten vierzehn Tage im Gespräch mit den locals immer ganz genau hingehört und dabei die folgenden augenzwinkernd-sympathischen "Sprichwörter" aufgegabelt. Sie stammen ausnahmslos aus den Mündern echter Einheimischer, sind also alles andere als Plattitüden oder billige Vorurteile eines ungelenken Deutschen. Es folgt der zaghafte Versuch, mit Hilfe viererlei Bonmots in eine mir bislang fremde Welt an Lebensstilen, Mentalitäten und Gebräuchen einzutauchen.
Nummer 1: "Laws are just suggestions"
Erstmals gehört aus dem Mund unseres Tourguides in Valletta. Wer das maltesische Alltagsleben lange genug verfolgt, kann dem inoffiziellen ersten Artikel der maltesischen Verfassung nur zustimmen: Gesetze sind hier nicht GESETZT, sondern nur VORGESCHLAGEN. Ob man sie befolgt, scheint den Maltesern selbst überlassen - die meisten wählen dann doch ihre ganz persönliche Alternativroute. Öffnungszeiten, Fahrpläne im Öffentlichen Nahverkehr und Halteverbote in der Hauptstadt: Alles befindet sich in wackeliger Schwebe, der kreative Umgang mit Vorschriften scheint zum kollektiven Bildungsauftrag zu gehören. Ehrlicherweise: Mit dieser leicht-lockeren Attitüde lebt sich's erstaunlich gut auf Malta.
Zum Problem wird die konsequente Umsetzung des Sprichwortes erst im Straßenverkehr. Auch hier gilt für viele Malteser wohl der Grundsatz, dass nicht jede Straßenverkehrsordnung auch unbedingt in Stein gemeißelt ist. Zebrastreifen werden, nach einer für Auswärtige undurchschaubaren Zählweise, wahlweise beachtet oder eben rigoros mit der Rekordgeschwindigkeit eines Formel-1-Boliden übergangen. Mit etwas Glück gerät der amüsierte Besucher vom Festland sogar in ein hitziges Wortgefecht mehrerer Verkehrsteilnehmer, mit heruntergelassenen Fensterscheiben und meist mehrsprachig garniert. Selbst Busfahrer beteiligen sich an dieser augenscheinlich folkloristischen Tradition äußerst gerne - ohne Scham vor den eigenen Passagieren oder unnötig nervendem Respekt vor den engen ÖPNV-Taktungen. Für Einsteiger, die die klassische Form der Auseinandersetzung der rabiateren vorziehen, hallen selbstverständlich auch regelmäßig Hupkonzerte durch die engen Gassen. Ein Spaß ist der örtliche Straßenverkehr jedenfalls für keinen seiner Teilnehmer.
Nummer 2: "Safe water - drink beer"

Zugegeben kein rein maltesisches Sprichwort. Trotzdem ist das gern gesehene Motto wilder Junggesellenabschiede auch für diese Insel zutreffend - und das gleich auf mehreren Ebenen.
Erstens feiern Malteser gerne bis tief in die Nacht hinein, dabei gehört Bier für die ehemalige britische Kolonie fest zum Getränkeangebot. Neben einigen Craft-Beer-Brauereien frönen die locals gerne dem Genuss von Cisk, dem klassischen Lagerbier der Insel, das überraschend süffig und wohltuend kühl daherkommt.
Viel wichtiger als das ist aber die ungeahnte Metaebene des Sprichworts: Bier und Wasser sind auf dieser Insel beinahe gleich teuer und ersteres eindeutig das Getränk, das weniger rar ist! Maltas kultureller und finanzieller Reichtum gründete noch nie auf üppigen Bodenschätzen oder sprudelnden Frischwasserquellen, sondern allein auf die geschickte Lage zwischen dem afrikanischen und europäischen Kontinent. Seit Ewigkeiten gehört Wasser daher, besonders in der heißen Sommerzeit, zu den wertvollsten Importprodukten der Insulaner. Das Leitungswasser reicht fürs Duschen und Zähneputzen vollkommen aus, für alles andere ist es aufgrund seines hohen Chlorgehalts jedoch nur bedingt weiter zu empfehlen. Die hohe Nachfrage nach trinkbar kühlem Nass macht es daher durchaus möglich, dass im Supermarktregal von nebenan das Wasser aus Übersee ähnlich teuer ist wie das lokale Bier. Das obige Sprichwort bekommt somit eine ganz originell maltesische Bedeutung: Tatsächlich kann es in langen Partynächten günstiger sein, vier Bier statt einer Flasche Wasser zu kaufen.
Nummer 3: "Maltese don't need CCTV. We have our balconies and grandmothers"
Auf den ersten Blick wirken die viktorianischen Erker der maltesischen Altstädte vor allem malerisch schön. Doch die unschuldig bunt bepinselten Balkone verbergen ein dunkles Geheimnis, das nur manchmal mit sich sanft bewegenden Gardinen an die Oberfläche des maltesischen Alltags zu stoßen droht. Über Generationen hinweg fungieren die putzigen Erker bereits als der perfekte Ausguck maltesischer Großeltern. Wo deutsche Omas ein gemütliches Kissen als Unterlage brauchen oder artistische Verrenkungen machen müssen, um zu sehen, ob des Nachbars Tochter nun wirklich verbotenerweise mit dem Zugezogenen im Gebüsch knutscht, reicht dem maltesischen Pendant ein lässiger Gang auf den gut gegen auswärtige Blicke geschützten Balkon. Mühsame Diskussionen über die Spitzelmethoden der Nachrichtendienste hin oder her: Was in den Vereinigten Staaten ellenlange Datenkolonnen bewirken sollen, haben die Altvorderen Maltas längst perfektioniert.
Die einzigen Leidtragenden sind indes die bemitleidenswerten Söhne und Töchter der Stadt: Die können keinen Schritt gehen, ohne vom engmaschigen Netz der selbsternannten Dorfpolizei beschattet zu werden. Das Martyrium hat erst ein Ende, wenn sie irgendwann alt genug sind, um es ihren Vorfahren in langgewachsener Tradition gleichzutun und deren ehrwürdigen Platz am Balkonsims einnehmen.
Nummer 4: "We'll give it a check"
Zuletzt der absolute Hammer unter den maltesischen Sprichwörtern, der Rundumschlag im Extremfall, die geheime Losung der maltesischen Handwerkerinnungen und Hausmeistergewerkschaften: Wer "We'll give it a check" als Antwort auf seine Beschwerde (klassischerweise zum Beispiel die marode Klimaanlage im Zimmer) zu hören bekommt, kann sich sicher sein: Er oder sie wird auch die nächsten Tage noch ohne air condition schwitzen müssen. Diese Allerweltsformel nämlich ist mehr das regional gängige Synonym für Prokrastination als ein wirkliches maltesisches Qualitätsversprechen. Doch: Es gibt auch Gegenbeispiele. Der Hausmeister meiner Unterkunft beispielsweise lässt kaum mehr als einen Tag verstreichen, ehe die jeweilige Beschwerde wieder hinfällig geworden ist und das Zimmer wie neu vor einem liegt. Am Ende gilt für dieses maltesische Sprichwort das gleiche wie für alle anderen auch: Wer sich mit dem lockeren Lebensstil der Inselbewohner anfreundet, ist definitiv besser dran als derjenige, der zwei Monate lang pedantisch genau auf Dienstpläne und (vermeintlich) gegebene Versprechen pocht. In unserem Beispiel gilt die Devise: Freundliche Beschwerde einreichen, den berühmt-berüchtigten Satz gutgläubig zur Kenntnis nehmen, gleichzeitig aber schon einmal bedächtig vorsorgen und für die nächsten vierzehn Tage Kühlpacks im Gefrierschrank horten.
Achtung Vorurteile!!!
Ein kleiner Nachschub in eigener Sache und bevor mich sogleich der erste Shitstorm erreicht: Ich hoffe, der leicht ironische Unterton dieses Eintrags ist bei allen angekommen und beugt daher jegliche Vorwürfe von ungerechtfertigten Vorurteilen gegen Maltesern meinerseits vor. Dieser Blogeintrag ist bitte mit amüsierter Vorsicht und einem kecken Augenzwinkern zu genießen - am Ende soll er vor allem zeigen: Ich liebe dieses Land und seine Leute so wie sie sind, gerade wegen ihrem Lebensstil und den "Sprichwörtern", die zugleich sicherlich NICHT für alle Malteser gleichermaßen gelten!
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Andrea (Freitag, 19 Juli 2019 08:15)
Absolut genial geschrieben. Da kommt man sich vor, als ob man selbst da ist, nur dass es bei uns etwas kühler ist. Weiter so!