
Wer die beste Pizza Maltas sucht, der muss eine halbe Odyssee durch das Mittelmeer auf sich nehmen. Mit einem der schnaufenden ÖPNV-Busse muss sich diese Person an den nördlichsten Zipfel der Hauptinsel schaukeln lassen, sich dann mühsam den Weg durch die Menschenmassen auf der Fähre freischlagen, ehe der Dampfer die zwanzigminütige Übersetzung nach Gozo antreten kann. Doch das Erreichen Gozos, eine von zwei Nebeninseln Maltas und die einzige bewohnte, bedeutet noch lange nicht das Ende der Odyssee.
Einmal im altertümlichen Gozo angekommen, folgt das nächste Busabenteuer: Mit knurrendem Magen schlängelt man sich die Serpentinen hoch, ruckelt über unbefestigte Landstraßen und lässt sich beinahe von den rhythmischen Bewegungen des Busses einlullen, bevor sie dann doch kommt: Die deliziöseste Haltestelle des Landes, inmitten des abgelegenen Dorfes Nadur - ein typischer gozitanischer Ort, mit krähenden Hähnen und gackernden Hühnern hinter jeder zweiten Hofmauer. Fünfzehn Minuten strammer Fußmarsch durch die Ödnis noch und "schon" liegt es vor einem, das Epizentrum guten Geschmacks auf Gozo: Die Maxokk Bakery, die es in ihrer über 90-jährigen Geschichte von der örtlichen Dorfbäckerei zur eigenen Sehenswürdigkeit gebracht hat.

Seit zehn Jahren wird die familiengeführte Bäckerei nun schon von Touristen geflutet, werden den Inhabern zahlreiche Preise der wichtigsten Touristenportale verliehen und suchen Promis jeder Couleur das Innere des so gut versteckten Ortes auf. Sobald sich jedoch hinter dem Besucher der altmodische Perlenvorhang schließt, scheint die Zeit wie stehengeblieben: Außer dem Telefon und einem Kühlschrank zeugt in der Maxokk Bakery nichts, aber auch gar nichts, vom Anbruch des digitalen Zeitalters. Gebacken wird direkt vor den Augen der Kunden, ein hölzerner Tresen grenzt den mickrigen Verkaufsraum vom Backbereich ab. An den Wänden hängen vereinzelte Familienerinnerungen, vergilbte Fotografien aus der Kindheit, eine ratternde Registrierkasse im Hintergrund genügt zur Abrechnung. Wichtiger als diese Nebensächlichkeiten ist aber das Zentrum des Raumes: Eine lange Tafel mit allerlei Zutaten, Teigklumpen und eifrig verteiltem Mehl. Dahinter schließt das wuchtige Herz jeder Bäckerei die urige Kammer ab: Von Ruß umgeben thront dort der Ofen wie ein fauchender Vulkan über dem geschäftigen Geschehen vor ihm, in seinem geräumigen Innern knistern die Flammen und glüht die Kohle leise zischend vor sich hin. Ein leicht überdimensionierter Aufwand für die kleinen Fladenbrote, die dem Ofen im Minutentakt entspringen - doch das denkt nur, wer die hausgemachten Ftiras und italienischen Pizzen noch nicht selbst probiert hat.

Ftira wird die Brotspezialität des Landes genannt, auf Gozo ähnelt sie mehr oder weniger dem runden Fladenteig einer Pizza. Belegt ist sie jedoch nicht mit feinem Käse, sondern mit knusprig gebratenen Kartoffelscheiben, die die weiteren beliebigen Belage verdecken. Wer das maltesische Nationalgericht probiert hat, kann ihm kaum ein zweites Mal widerstehen - insbesondere nicht, wenn er die Maxokk Bakery für seine fettige Sünde auserwählt hat: Der Teig ist kross und doch dünn gebraten, der Geschmack selbst eine unbeschreibliche Offenbarung. Das genüssliche Verspeisen am "Original-Schauplatz" tut sein Übriges: Noch nie habe ich besser gegessen als in der Maxokk Bakery im ländlichen Nadur, umgeben von krähenden Hähnen und gackernden Hühnern und nach stundenlanger, hungergeplagter Odyssee. Beinahe regt dieser Ort zum Nachbacken zu Hause ein - doch spätestens hier endet dann das maltesische Traumland der Kulinarik: Das Rezept der Maxokk Bakery ist über drei Generation hinweg tradiert und hat die Familie noch nie verlassen. Nur jeweils eine Person pro Generation, die sich in eisernes Schweigen hüllt, kennt die genaue Zusammensetzung der Götterspeise. Der ganze Rest der großen Maxokk-Familie verbleibt genauso unwissend wie jeder Hobbykoch, der es den Profis am Ofen allzu gerne nachmachen würde.

Die aktuelle, unbestechliche Hüterin des "Ftira-Grals" heißt Grace. Als Tochter des letzten Bäckers übernahm sie vor einigen Jahren die Geschicke am Herd, bedächtig schiebt sie auch heute noch Ftira für Ftira, Pizza für Pizza, in den heißen Schlund des Ofens. Jeden Morgen um sechs Uhr wirft ihr Ehemann den Ofen an, so erzählt es mir ihre Verwandte Nancy, die wie viele andere Familienangehörige heute im florierenden Bäckereigeschäft mitwirkt. Nancy nimmt die Bestellungen an, Grace verarbeitet sie mit ruhiger Hand und sichtbarer Routine. Sorgfältig wird jede Ftira einzeln belegt, nach Hektik oder gar Convenience-Produkten kann man in der Maxokk Bakery lange ergebnislos suchen. Auch der Teig ist ein Produkt des Hauses. Jeden Morgen frisch nach altem Familienrezept zusammengerührt, verbringt er den Tag bis zu seinem hitzigen Einsatz, in den traditionellen Steintrögen, die einst die erste Generation Maxokk-Bäcker als Vermächtnis hinterließ - ebenso wie den Ofen, der seit 90 Jahren eifrig seinen Dienst an den produzierten Ftiras und Pizzen tut. Anfangs produzierte die Familie auch noch traditionelle Brotlaibe und anderes Backwerk. 2007 schließlich dezimierte man die große Bandbreite und fokussierte sich auf die heimlichen Stars des Repertoires: Ftira und Pizza, die sich als Hauptdarsteller exzellent machen und das populäre Wachsen der winzigen Dorfbäckerei erst ermöglichten. Bis zu 300 Kunden kommen heute täglich in den Genuss der ausgefallenen Backkunst - vom Taxifahrer, über den Bauern von nebenan bis hin zu Touristen aus der ganzen Welt, die dem Ort erst seine inselweite Bekanntheit gaben. Selbst während meiner Besuchszeit am späten Nachmittag steht das Telefon kaum still, immer wieder platzen Nachbarn in unser Gespräch und lassen sich einfache Pappkartons mit duftendem Inhalt geben, ehe sie sich wieder in die Gluthitze der maltesischen Mittagsstunde stürzen. Eine echte maltesisch Landidylle, wie es sie in den Touristengebieten um Sliema oder Valletta nur noch selten zu erleben gibt.
Von Sliema aus mag es zwar eine Odyssee sein, bis ins entlegene Nadur vorzudringen. Doch das Entdecker-Gen auf der Reise lohnt sich: Nirgendwo sonst lässt sich so vorzüglich und urtümlich speisen wie hier. Auch außerhalb der bescheidenen Flächen der Bäckerei hat es Gozo geschafft, sich seine Urtümlichkeit auf seltsame Weise zu erhalten: Trotz der Touristenstürme in der "kleinen Hauptstadt" Rabat ist vieles auf Gozo ländlicher, langsamer, entspannter als beim boomenden Nachbarn Malta.
Die Odyssee lohnt sich also - allein für die Ftiras der Maxokk Bakery würde ich notfalls auch ein Weltreise machen!
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Rita (Samstag, 27 Juli 2019 22:46)
Schade, dass ich dieses tolle Backwerk nicht kosten kann!