
Eine genüsslich vapende Frau pafft Rauchwolken in die eisige Nacht. Ein uniformierter Amerikaner steht im menschenleeren Pub und spielt mit seinem Freund eine einsame Runde Billard. Zwei ältere Frauen schauen mit ernstem Gesicht in die Kamera, nur ein verstecktes Lächeln huscht über ihr verrunzeltes Gesicht. Und über allem herrscht sie: Die weiße Schale des Green Bay Weltallteleskops in Green Bank, USA. Eine mächtige, beinahe furchteinflößende Konstruktion im amerikanischen Nirgendwo, fernab der Großstadtdschungel und der meisten Zivilisation - aber eben nur der meisten.
Die Szenerie dieser Bilder, die seit letzten Freitag eine neue Heimat in der "Contemporary Art Gallery Valletta" gefunden haben, scheinen auf den ersten Blick alltäglich: Amerikaner in ihren vier Wänden, bei der Arbeit, am Handy. Doch genau dort beginnt das Besondere, hier liegt das subtil Kunstvolle verborgen, das ein maltesisches Fotografinnen- und Autorinnenduo in ungeahnt realer Weise auf hochwertige Fotoleinwand gebannt haben: Denn mit Handys wird es in der amerikanischen Kleinstadt schwer - Wifi und GPS gehören in Green Bank keinesfalls zum zivilisatorischen Alltag. Der Ort ist Teil der sogenannten Quiet Zone um das Riesenteleskop: Eine Bannzone für jegliche Radiowellen und Übertragungsstrahlen (ausgelöst durch Handys, Internet oder auch schon modernen Digitalkameras), um das Teleskop in seiner detaillierten außerirdischen Forschungsarbeit nicht auf elektromagnetische Weise zu stören.
Viele mögen hinter diesen Umständen ein Ding der Unmöglichkeit vermuten im internetzentrierten 21. Jahrhundert - doch die Fotoausstellung, unterstützt durch journalistische Texte, spricht eine andere Sprache: Der Ort zieht gerade wegen seiner virtuellen Entlegenheit einen spannenden Schlag Menschen an. Sie suchen den Schutz des Satelliten um sich von Krankheiten zu erholen, um ein Leben in Ruhe zu genießen oder sie arrangieren sich auf andere Weise mit der ungewohnten Situation, keinen einzigen blinkenden Balken auf dem Bildschirm zu sehen.

Wie es die beeindruckenden Fotografien aus dem tiefen Herz Amerikas nach Malta geschafft haben - Ein Land übrigens, das eine der höchsten Dichten sozialer Webaktivität vorzuweisen hat - ist ähnlich erzählenswert. Zu verdanken hat das die erst 2018 gegründete Gegenwartsgallerie der Urheberin, eine Malteserin mit hohem Bekanntheitsgrad in der fotorealistischen Szene: Joanna Demarco eilt noch Minuten vor der offiziellen Vernissage gehetzt durch den blitzeblank weißen Ausstellungsraum, den eine kunstfördernde NGO erst vor wenigen Jahren überhaupt auf die Weltkarte der bildenden Kunst setzte. Mit einer klassischen Kamera mit Film knipst sie ihre Werke an den Wänden ab und hat dann schließlich doch Zeit für meine Fragen. Sie freut sich über mein Interesse an der maltesischen Kunstszene, noch viel mehr aber über den großen Erfolg, ihr jüngstes Projekt in der zeitgenössischsten aller Galerien der Insel ausstellen zu dürfen. "Meine Partnerin Ann Dingli kam mit dem Direktor dieses Ortes ins Gespräch und ziemlich schnell, innerhalb weniger Monate, konnten wir diese Kooperation auf die Beine stellen", erzählt sie den Weg zu "The Spaces That Connect Us", wie das maltesische Duo (ergänzt um den Analogfilmexperten Mark Leonard) ihr journalistisches Kunstprojekt genannt hat.

Noch vor wenigen Jahren wäre ein solches Kunstevent im Herzen Vallettas undenkbar gewesen, wie Joanne Demarco aus dem Nähkästchen zu plaudern weiß. Erst die letzten Jahre haben die Kunstszene in den Fokus gerückt, inzwischen gibt es auch eigene staatliche Fonds, die künstlerische Unternehmungen monetär unterfüttern. Eine Hilfe, die auch die gelernte Journalistin und Fotografin gerne für das USA-Projekt annahm: "Zunächst waren wir auf eigene Kosten unterwegs, ich habe dort ja vor allem Ann besucht. Später sind wir dann noch einmal hingereist, um das Projekt final fertigzustellen. Das ist erst mit Förderung dieses Fonds möglich gemacht worden. Die Ausstellung wiederum hat die Aufmerksamkeit der amerikanischen Botschaft erregt, die uns auch finanziell unter die Arme greift." Es tut sich also etwas, in der maltesischen Kunstszene. Eine Beobachtung, die auch auf andere Lebensbereiche der Insel zutrifft. Vieles scheint in Bewegung auf dem einst etwas altmodischen Archipels - manches erfährt eine gern gesehene Revolution zum Guten, anderes verblasst langsam leidend vor der aufgehenden Sonne einer boomenden Wirtschaft.
Zur unbestrittenen Kunstmetropole des Mittelmeerraums ist es allerdings noch ein Stück hin, wie auch der Assistent des Gallery Managers, Leo Chircop, zugeben muss. "Als wir anfingen haben wir sofort gemerkt, wie sehr die moderne Galerie an diesem Ort gebraucht hat. Das war überfällig." Doch noch ließe sich viel entwickeln. Dass etwas auf dem Weg sei, merke man eindeutig. "Aber es ist eben noch ein Stück hin."
Auch Joanna Demarco kann ähnlich viel zur Abschlussfrage beisteuern, die auf ihre Zukunftswünsche für ein künstlerisch begabteres Malta abzielt: "Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Malteser hier auf einer künstlerischen Ebene mit Themen auseinandersetzen, die für uns als Gesellschaft relevant sind. Manchmal muss man tief graben, sich mit ernsten Themen beschäftigen. Gerade die Kunst bietet hier gute Möglichkeiten." Für ihre persönliche Zukunft hat sie genau das vor: Ihr aktuelles Projekt verfolgt eine feministische Protestbewegung Maltas, die sich lautstark gegen das Vergessen des feigen Mordes an Daphne Galizia einsetzt. Die italienische Investigativjournalistin grub lange Jahre im tiefsten politischen Schlamm der Insel und war kurz davor, eine große Story über Maltas Dasein als findige Steueroase zu veröffentlichen. Der entblößende Bericht kam nie zustande - Galizia erlag ihrem Sinn für Gerechtigkeit bei einem Bombenattentat, das bis heute nicht aufgeklärt ist und die Gemüter der locals kräftig erhitzt.
Nach dem Ausflug ins ferne Amerika geht es für Demarco also auch fotografisch zurück in die geliebte Heimat. Die maltesische Vorzeigefotografin wird zukünftig sicherlich noch für viel aufrührerischen Wirbel im Mittelmeer sorgen. Einem Württemberger - in der Heimat reich gesegnet durch Staatsgalerie, Kunstwürfel und privaten Sammlungen im nahen Umkreis - bleibt dem Inselstaat mit diesen bleibenden Eindrücken nur auffordernd zuzurufen: Mehr solche Kunscht bitte!
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