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Eine Woche Bundestag, eine Woche im Herzen der deutschen Demokratie

Mehr als ein halbes Jahr lang habe ich diesem Moment entgegen gefiebert - und dann geht es plötzlich ganz schnell: Am ersten Montag meines vierwöchigen Praktikums stehe ich um Punkt zehn Uhr zum Dienstantritt im lichtdurchfluteten Atrium des Paul-Löbe-Hauses, das einem Teil der 709 deutschen Abgeordneten als Berliner Büroheimat dient. Sekunden später eile ich bereits zur Ausweisstelle und gleich anschließend atemlos in meine erste live durchlebte Sitzung: Die Projektgruppe 03 der Enquete-Kommission "Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt" lädt zur Debatte. Was sich erst einmal über alle Maßen kompliziert anhört, erweckt in mir gleich zu Beginn ein glückliches Grinsen. Ich habe es geschafft: Für vier Wochen darf ich mit Herrn Dr. Stefan Kaufmann (CDU) einen echten Bundestagsabgeordneten in seinem stressigen Arbeitsalltag begleiten - im Herzen der Demokratie, dem Deutschen Bundestag in Berlin.    

Tag 1 im Deutschen Bundestag: Im Vordergrund der für alle Mitarbeiter obligatorische Hausausweis, im Hintergrund die Umrisse des "Herzens der deutschen Demokratie".
Tag 1 im Deutschen Bundestag: Im Vordergrund der für alle Mitarbeiter obligatorische Hausausweis, im Hintergrund die Umrisse des "Herzens der deutschen Demokratie".

Berlin-Tagebuch I 

Montag, den 23. September: Rasantes Willkommen 

Eine lange Eingewöhnungsphase, das wird mir schnell klar, erlaubt der eng getaktete Zeitplan eines MdB nicht: Kaum habe ich meinen Hausausweis erhalten, geht es auch schon mitten hinein ins Getümmel. In diesem Fall ist es einer der vielen Sitzungssäle im Paul-Löbe-Haus, in dem eine von drei Projektgruppen zur Enquete-Kommission "Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt" tagt. Diese wurde 2018 als parlamentarische Institution zur Erforschung des selbst gegebenen Titelthemas gegründet und soll bis zum Ende der Legislaturperiode einen umfangreichen Bericht vorlegen.

Die Abgeordneten sitzen im Zentrum des Geschehens an langen Tischen, um sie herum gruppieren sich zahllose Assistenten, die konzentriert dem Geschehen an den Mikrofonen folgen - zumindest auf Zeit darf ich mich stolz zu ihnen zählen.

 

Der 50-jährige CDU-Vertreter Kaufmann sitzt seit 2009 für meine Heimat Stuttgart im Bundestag. Er arbeitet seit dem ersten Tag an im Bildungsausschuss an der Zukunft unserer Forschung und Ausbildung mit. Außerdem ist der studierte Jurist noch Vorsitzender der von ihm initiierten Enquete-Kommission, Kreisvorsitzender der CDU in Stuttgart, als offen homosexuell lebender Mensch auch queerpolitisch sehr engagiert und im Ausschuss oft federführend für die internationale Hochschulpolitik des Bundestages verantwortlich. Ein schier nicht zu überblickender Strauß an interessanten Aufgaben, die einen bis an die Belastungsgrenze fordern können, wie ich schon bald herausfinden werde. Der erste Tag wird mit einer gut dreistündigen Gesamtenquete-Sitzung gleich im Anschluss fortgesetzt und findet sein Ende bei einer Veranstaltung des Bundesverbands der schwulen Senioren, die in Berlin zur alljährlichen Fachtagung einladen. Herr Kaufmann darf eine kurze Grundsatzrede halten und begibt sich anschließend in die Diskussion mit den Gesandten der anderen Fraktionen. Ein erster langer Tag endet für mich damit mit aktuellen queerpolitischen Problemstellungen - der Abgeordnete selbst kehrt für die liegengebliebene Schreibtischarbeit allerdings noch einmal zu später Stunde zurück an den Platz der Republik. 

Über einem nebligen Berlin trifft sich am Dienstag die "German U15".
Über einem nebligen Berlin trifft sich am Dienstag die "German U15".

Berlin Tagebuch II

Dienstag, den 24. September: Die Woche nimmt Fahrt auf 

Am Dienstag nimmt die parlamentarische Arbeit für viele Abgeordnete erst so richtig an Fahrt auf: Die fraktionsinternen Absprachen nehmen heute einen Großteil des Tages in Anspruch. Doch erst einmal lädt die Interessensgemeinschaft der deutschen Forschungsunis "German U15" in aller Frühe zum parlamentarischen Frühstück. Über den noch im Morgennebel verborgen liegenden Dächern Berlins tauschen sich die Abgeordneten mit den Verbandsvertretern beim gemeinsamen Frühstück im Restaurant des Bundestags aus. Noch ist das Ambiente entspannt, auch wenn brisante politische Hochschulthemen genauso auf dem gedeckten Tisch stehen wie der köstliche Orangensaft und das leckere Rührei. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, aus solcher Nähe das Tagwerk der Abgeordneten mitverfolgen zu dürfen.

 

Die Abgeordneten wiederum streben bald schon den Weg zurück ins Paul-Löbe-Haus an, wo der anstrengende Arbeitstag gerade erst beginnt. Der Dienstag ist den fraktionsinternen Absprachen vorbehalten, die vor allem auf zwei Ebenen stattfinden: Erst treffen sich die themenbezogenen Arbeitsgruppen der Fraktionen, dann folgen die großen Fraktionssitzungen, an denen alle Abgeordnete teilnehmen. In der Arbeitsgruppe bin ich noch herzlich eingeladen und darf - hinter sonst verschlossen bleibenden Türen - hautnah mitverfolgen, wie in den Fraktionen auf hochorganisierte Weise und im offenen Austausch miteinander die gemeinsamen Positionen für den Bildungsausschuss erarbeitet werden.

 

Allein die große Fraktionssitzung der CDU/CSU ist dann wirklich intern - hier darf selbst meine neugierige Praktikantennase nicht mehr weiter schnüffeln. Während ich im Büro die Tagespost bearbeite, werden auf der Fraktionsebene die wichtigen tagespolitischen Entscheidungen debattiert und bei der grünen Konkurrenz ein neuer (wie sich später herausstellt auch alter) Fraktionsvorsitz gewählt. 

Nach dem Sitzungs- folgt der Terminmarathon, bei dem ich wieder gefordert bin: Vom THW-Aktionstag vor der Kulisse des Bundeskanzleramts geht es zum Festakt des Bildungsministeriums, das zum Jubiläum des Berufsbildungsgesetzes ins Berliner Futurium am Hauptbahnhof lädt. Auch hier bin ich mittendrin: Die Ministerin spricht zur Feier des Tages, im Anschluss geht es für viele Abgeordnete wieder zurück in die Büros und zur Nachtschicht an den schwer beladenen Schreibtisch.

Kein ganz alltäglicher Heimweg: Beim abendlichen Spaziergang zum Berliner Hauptbahnhof strahlte mir tagtäglich die majestätische Fassade des Bundeskanzleramts entgegen.
Kein ganz alltäglicher Heimweg: Beim abendlichen Spaziergang zum Berliner Hauptbahnhof strahlte mir tagtäglich die majestätische Fassade des Bundeskanzleramts entgegen.

Berlin Tagebuch III 

Mittwoch, den 25. September: Sitzung, Sitzung, Sitzung

Mittwoch ist der nächste große Tag der Woche, das dritte Highlight in Folge - zumindest für jemanden, der erst so "jungfräulich frisch" im Bundestag angekommen ist wie ich. Eine gesunde Prise Hektik weht seit den frühen Morgenstunden durch das Haus: Heute stehen die ersten Ausschuss- und Plenarsitzungen auf dem Programm, die großen Spielbälle der Berliner Politik kommen langsam ins Rollen. Es ist der Moment, in dem wirklich alle Fraktionen und Abgeordneten mit ihrer Expertise am Zug sind. Jetzt entscheidet sich, welcher Gesetzentwurf es mit welchen Änderungen ins Plenum schafft, wer die besseren Argumente hervorbringt und nicht zuletzt, was sich im Deutschland des ausgehenden Jahres 2019 noch alles ändern wird. Im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung - das unbestrittene Paradegebiet Kaufmanns - betrifft das vor allem die Diskussion um das liebe Geld: Wie jedes Jahr stehen die Haushaltsdebatten im Mittelpunkt der zweiten Jahreshälfte und bescheren dem Ausschuss sogar einen seltenen Besuch der Ministerin. CDU-Politikerin Anja Karliczek stellt sich den Fragen ihrer Kollegen aus dem Bundestag und wird dabei, wie üblich, vor allem von der Opposition gegrillt. Als es zum Thema Batteriezellenforschung kommt - ein Themengebiet, bei dem die Opposition seit Längerem Mauscheleien in den Hinterzimmern des Ministeriums vermutet - wird es noch einmal besonders spannend. Gekonnt versucht die Ministerin die gewitzten Fragen der Grünen abzuwenden, das elektrische Knistern bleibt aber spürbar im nun gemütserhitzten Raum hängen. Demokratie vom Feinsten, die auch aus der einfachen Rolle eines Zuschauers auf der Tribüne etwas ganz Ähnliches wie Demut, auf jeden Fall aber gebanntes Interesse, entstehen lässt.  

Dr. Stefan Kaufmann (Fünfter von rechts) in bester Gesellschaft bei der Begrüßung der indischen Delegation im Deutschen Bundestag.
Dr. Stefan Kaufmann (Fünfter von rechts) in bester Gesellschaft bei der Begrüßung der indischen Delegation im Deutschen Bundestag.

Berlin Tagebuch IV 

Donnerstag, den 26. September: Ein Tag im Zeichen der Völkerverständigung 

Donnerstags stehen die längsten Plenarsitzungen der Woche an, bis tief in die Nacht ringen die Fachpolitiker heute unter der Reichstagskuppel um neue Gesetze und Änderungsanträge. Dabei findet das Kerngeschäft der Abgeordneten auch außerhalb des Plenarsaals statt. Ist Herr Kaufmann gerade einmal nicht mit seiner Expertise in den Reihen der eigenen Fraktion gefordert, nimmt er andere Termine im näheren Umkreis des Parlaments wahr.

Heute stehen diese ganz im Zeichen der Völkerverständigung: Zunächst begrüßt der ehemalige Konrad-Adenauer-Stipendiat eine indische Delegation in den "heiligen Hallen" des Paul-Löbe-Hauses. Die hochrangig besetzte Gruppe ist auf Einladung der gleichnamigen CDU-nahen Stiftung nach Berlin gereist, im Austausch mit Stefan Kaufmann geht es um Möglichkeiten für zukünftige bilaterale Beziehungen. Für mich offenbart sich in den gemeinsamen Gesprächen eine weitere wichtige Kompetenz im politischen Alltag: Als MdB ist man durchaus auch als Mittler im Austausch mit anderen Nationen gefragt - selbst wenn die Außenpolitik nicht zum alltäglichen Kerngeschäft im Forschungsausschuss gehört. 

 

Nach den interkontinentalen Gesprächen im Paul-Löbe-Haus eilen wir einige Straßenzüge weiter zur französischen Botschaft am Brandenburger Tor. In einem schmucklosen Konferenzraum am Rande des Pariser Platzes ruhen gut dreißig neugierige Augenpaare auf Stefan Kaufmann. Vor den geladenen Postdocs verschiedener französischer Elite-Universitäten plaudert Kaufmann gekonnt frei aus dem "Nähkästchen" der deutschen Forschungspolitik: Eine Prise Europa weht durch den Raum, als es um deutsch-französische Partnerschaften in der Forschung geht, die Jungtalente zeigen großes Interesse am deutschen Wissenschaftssystem. Und Stefan Kaufmann? Muss die wissbegierige Zuhörerschaft nach einer guten Stunde leider schon wieder auf zukünftige Treffen vertrösten - im gesamten Parlamentskomplex beginnt zu dieser Zeit ein ohrenbetäubendes Glockenläuten, das heute noch einige Male den ganzen Tagesbetrieb in Aufruhr versetzen wird: Die nervtötenden Klangzeichen kündigen eine namentliche Abstimmung im Plenum an. Würden die Abgeordneten diesen wichtigen Moment ihrer täglichen Verpflichtungen verpassen, könnte es sie teuer zu stehen kommen: 100 Euro Strafe werden pro verpasste namentliche Abstimmung fällig - also eilen wir lieber schnellen Schritts den Türmen des Reichstages entgegen.  

Im Fokus der Kameras: Dr. Stefan Kaufmann beim Interview des SWR im Paul-Löbe-Haus.
Im Fokus der Kameras: Dr. Stefan Kaufmann beim Interview des SWR im Paul-Löbe-Haus.

Berlin Tagebuch V

Freitag, den 27. September: Ein letztes Mal im Bundestag 

Es ist Freitag, langsam nähert sich der Stresspegel wieder akzeptablen Mittelwerten und das Schritttempo in den Gängen des Paul-Löbe-Hauses passt sich den Normalgeschwindigkeiten aus dem Alltag an. Auch der Terminkalender des Abgeordneten zeigt heute schon deutlich weniger rote Balken an als noch vor einem Tag.

Dennoch beginnt der Tag für Stefan Kaufmann auch heute früh: Im Sitzungssaal E100 kommt es zum Austausch zwischen hochdekorierten Stipendiaten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und einigen Volksvertretern, Stefan Kaufmann soll als einer der Vertreter der CDU/CSU-Fraktion sprechen. 

 

Nach dem obligatorischen Foto für die sozialen Netzwerke zieht das Tempo wieder merklich an: Auf der Balustrade über dem Atrium wartet bereits ein Kamerateam des SWR auf meinen Chef und mich als seinen "helfenden Schatten" im Hintergrund. Im kurzen Statement für die Abendnachrichten soll es um das leidige Thema der Batterieforschungsfördermittel gehen. Wie die Ministerin am Dienstag im Ausschuss muss sich nun Stefan Kaufmann dem Kreuzfeuer der Journalisten hingeben und jedes noch so kleine Wort in Sekundenschnelle abwiegen. Am Abend hat der Forschungspolitiker mit seinen Worten schließlich einen Spitzensendeplatz im "Ländle" sicher.

Einige letzte Termine noch, dann heißt es auch für mich erst einmal Feierabend. Stefan Kaufmann reist noch zur Mittagszeit gen Stuttgart, ein wichtiger Anschlusstermin in Stuttgart macht seine ungewöhnlich schnelle Abreise aus Berlin nötig: Um 17 Uhr bereits wird er zum Fassanstich auf dem Cannstatter Wasen erwartet - auch das gehört fest zum Terminkalender eines Stuttgarter Abgeordneten.

Eine ereignisreiche erste Woche geht zu Ende

Im Berliner Büro stempele ich indes die letzten Einladungskarten ab, werfe einen finalen Blick ins Postfach und darf dann den Computer fürs Erste in das wohlverdiente Wochenende schicken. Eine ereignisreiche erste Praktikumswoche neigt sich dem Ende zu, ein erstes vorsichtiges Fazit könnte kaum euphorischer ausfallen: Die Tage im Deutschen Bundestag sind stressig und von einem hohen Tempo geprägt - aber bei aller Hektik bleibt am Ende das unbeschreibliche Gefühl, Teil eines großen Ganzen sein dürfen.

 

Vor allem eines bleibt als die Lehre der ersten Woche hängen: Entgegen aller Unkenrufe ackern sich die Mitglieder des höchsten deutschen Parlaments wirklich ab. Mauscheleien und Hinterzimmer entdeckt man eher selten, dafür braucht es ordentlich Sitzfleisch für die zahlreichen Verhandlungen, einen guten Überblick bei all den Verfahren, die parallel durch die Gänge des Bundestags gepeitscht werden und viel Ausdauer für die zahlreichen Termine (im obigen Wochentagebuch habe ich aus Platzgründen nur einen Bruchteil davon darstellen können), die in- und außerhalb der Sitzungssäle wahrgenommen werden wollen. Der Job eines Abgeordneten ist entgegen der landläufigen Meinung an den Stammtischen der Republik vor allem eines: Ein Knochenjob, der mehr Respekt verdient hätte. 

 

Nicht zuletzt ist auch der Alltag eines Praktikanten im politischen Berlin alles andere als alltäglich: 

Selbst am Ende eines noch so langen Tages erfüllt es mich mit Stolz, auf einen ganz besonderen Arbeitsplatz blicken zu dürfen, den viele sonst nur von außen als "Herz der deutschen Demokratie" kennen.