· 

How to...fall in love with Shakespeare

„All the world’s a stage/and all the men and                        women merely players"

dichtete Shakespeare schon im 16. Jahrhundert, als er seine vielbeachtete Komödie „As you like it“ erstmals auf die Bühne brachte. Die ganze Welt ist eine Bühne – wie viel mehr trifft das auf die englische Kleinstadt Stratford-upon-Avon zu. Wenn man so will ist die 30.000 Seelen-Gemeinde sogar eine einzige große Bühne für sich, die wie ein Ufo aus der Kulturödnis der Midlands herausragt. 

Idylle mit Turm: Das Theater-Viertel in Stratford-upon-Avon.
Idylle mit Turm: Das Theater-Viertel in Stratford-upon-Avon.

Schon von weitem dominiert der Backsteinturm des Shakespeare Memorial Theatres die zugegebenermaßen eher bescheidene Skyline des Ortes. Und das nicht nur architektonisch: Auch im übertragenen Sinne herrscht das 1879 erstmals eröffnete Theater über die Region. Mehr als 1000 Menschen stehen auf der Gehaltsliste der Kulturinstitution, mehrere Hunderttausend Besucher verzeichnen die Aufführungen der hier ansässigen Royal Shakespeare Company (RSC) im Jahr. Hinzu kommen ungezählte Gästescharen, die durch Gastronomie, Ausstellung, Aussichtsturm und Kulissenführungen angelockt werden.

 

 

Genau mit einer solchen beginnt auch mein allererstes Rendezvous mit den Brettern, die für Schakespeare einst die Welt bedeuteten (auch wenn er wohl zumindest in seiner Geburtsstadt Stratford nie auf ihnen stand): Beinahe täglich bittet das Führungsteam des Theaters zum Gang hinter die Kulissen, ins größte Kostümarchiv Großbritanniens oder gar auf die Bühne selbst. Ganz so weit kommt es am Mittwochvormittag allerdings nicht, für unsere kleine Gruppe aus drei Theaterinteressierten geht es immerhin in die heiligen Proberäume der RSC. Lange bevor eine Produktion überhaupt vor großem Publikum Premiere feiern darf, nimmt hier alles seinen Anfang: Im intimen Rahmen des „Other Place“, wie die ehemalige Interimsspielstätte auf der anderen Straßenseite des kleinen Stratforder „Theater-Viertels“ heute genannt wird.

Eine Wand, viel Geschichte: Die rote Wand am Swan Theatre versucht das Unmögliche und präsentiert mehr als 200 Jahre RSC.
Eine Wand, viel Geschichte: Die rote Wand am Swan Theatre versucht das Unmögliche und präsentiert mehr als 200 Jahre RSC.

Von 2007 bis 2011 fanden in dem unförmigen metallenen Kasten – einst Hassobjekt für viele Einheimische, heute von denselben als ein „Ort der Muse“ in der Kleinstadtidylle verehrt – ein Großteil der Shakespeare-Aufführungen statt. Das eigentliche Gedächtnistheater von 1932 blieb währenddessen hinter Baugerüsten verborgen: Nach Jahren der Planung und zähem Ringen um eine staatliche Finanzspritze hatte man sich zu XX Millionen teuren Umbaumaßnahmen durchringen können, die das Art-déco-Gebäude der 20er-Jahre wieder näher an Shakespeares Zeiten katapultieren sollten. Außen blieb der einmalige Stil der Goldenen Zwanziger zwar erhalten – nicht zuletzt auch, weil von der ersten weiblichen Architektin des Landes entworfen. Innen aber wich die starre Struktur einem wahrhaftig elisabethanischen Grundriss: Eine neue Bühne wurde bis in den Zuschauerraum hinein gezogen und ermöglichte so eine erheblich erweiterte Aktionsfläche für die Schauspieler.

 

Unvergesslich bleibt auch die Ergänzung des neuen Aussichtsturms neben dem alten Theater und der Wiederaufbau einer Legende: 1926 bei einem verheerenden Feuer zerstört hatte man das eigentlich originale Gedächtnistheater von 1879 nie wieder zum Leben erweckt. Dabei hatte genau hier einst alles begonnen: Brauereimilliardär Charles Edward Flower ließ es sich im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht nehmen und erbaute, als echter Philanthrop der Stadt, auf seinem weitläufigen Landbesitz am Fluss Avon ein Theaterhaus zu Ehren Shakespeares. Im Jubiläumsjahr schließlich überschrieb Flower der Stadt mit betont großzügiger Geste den gesamten Grundbesitz. Im Rathaus des Örtchens war man ob der Güte des Unternehmers zunächst sichtlich irritiert, war der Erfolg eines gigantischen Theaters mitten in der Pampa Mittelenglands doch alles andere als sicher. Doch der Brau- und Baumeister sollte Recht behalten: Das Theater machte die Provinz schnell zum kulturellen Nabel der Insel und kreierte ungeahnte Besucherströme – sogar an einem mittelschönen Novembermittwoch wie diesem, mitten im tiefsten englischen Herbst.    

Das Herz des Theater: Kostümarchiv von Stratford-upon-Avon.
Das Herz des Theater: Kostümarchiv von Stratford-upon-Avon.

Beim Gang durch den „Anderen Ort“ erschließt sich mir ein Blick auf die Welt des Theaters, den sich ein Schauspielliebhaber sonst wohl nur erträumen kann: Trotz ihrer Schlichtheit atmet der durchwanderte Proberaum eine ganz besondere Atmosphäre, wirkt alles wie magisch vollgesogen von der Aura der praktisch nebenan begründeten Shakespeare-Welt. Noch deutlicher riechen lässt sich die Theaterluft in einem weiteren Raum der ehemaligen Spielstätte: Stößt man die Türen zum Vorraum des Hauses auf, finden sich mit Bildern, Zeichnungen und Skizzen gepflasterte Wände. Ganz ähnlich könnte sich ein in Verwendung befindlicher Proberaum entwickeln, so die Erklärung unseres Tourguides zu dem heillosen Durcheinander: Schauspieler tragen eigene Notizen bei, die Regieassistenten fügen meterlange Exel-Tabellen und Ablaufpläne hinzu, als Letztes folgt der Regisseur mit seinen niedergekritzelten Visionen. Fertig ist das Ambiente für die intensive Probenzeit, die jedes Stück der RSC durchlaufen muss: Das Ensemble arbeitet bis zu zwei Monate an einer Inszenierung, jongliert dabei aber mit bis zu drei Stücken gleichzeitig und ist bis weit über die Belastungsgrenze hinaus gefordert. Ein Arbeitstag in der Probezeit ist für die Schauspieler selten kürzer als zehn Stunden – den Stressfaktor der Premierennacht noch gänzlich ausgenommen! 

Ein (hoffentlich) nicht ganz so verrückter König: Ich und Richard III.
Ein (hoffentlich) nicht ganz so verrückter König: Ich und Richard III.

Das absolute Highlight der einstündigen Tour folgt dann hinter der nächsten Flügeltüre: Aus dem Nichts heraus tut sich dem Besucher hier das Reich der dreißig festangestellten Kostümexperten der RSC auf – ein Imperium aus mehreren tausend Kleidungsstücken, die für die unzähligen Produktionen der RSC angefertigt wurden. Selbst Mittelalterkenner finden in diesen Räumen eine Anstellung unter Shakespeares Fittichen – ihr Fachwissen wird in der separaten Werkstatt benötigt, in der ein Team an dem militärischeren Rüstzeug aus Shakespeares Dramenwelt tüftelt. 

Blick ins Swan Theatre, der kleinere der beiden elisabethanischen Theatersäle.
Blick ins Swan Theatre, der kleinere der beiden elisabethanischen Theatersäle.

Ein schneller Fotostopp, ein kurzer Spaziergang durch die Eiseskälte, schon geht es anschließend mitten ins Herz des „Shakespeare-Konzerns“: An meinem letzten Stratford-Abend besuchte ich eine Live-Produktion der RSC im frisch erbauten Swan Theatre, die Kirsche auf der Theatertorte war perfekt. Sieht man über die verworrenen, altenglischen Passagen des Stückes und die etwas zu modern inszenierte erste Hälfte hinweg, rundet die diesjährige Stratford-Version des Historiendramas „King John“ einen Theatertag im Namen Shakespeares mehr als perfekt ab: Die Bühne trieft nur so vor Kunstblut, Intrigen, Königsmord und Shakespeares poetischer Moralkeulen.

 

Ist der Dschungel der verwandtschaftlichen Beziehungen erst einmal durchblickt, bietet sich dem Zuschauer ein ungeahntes dramatisches Feuerwerk, das eine Geschichte erzählt, die trotz ihrer historischen Verortung nicht aktueller sein könnte: Der Aufstieg und Fall von König Johann und seinem Adelsgeschlecht mag zwar hunderte Jahre in der Weltgeschichte zurückliegen – der Rosenkrieg dahinter aber erinnert in erschreckender Detailgenauigkeit an so manche Schlagzeile, die man auch heute noch im Politikressort jeder Tageszeitung finden kann.

Was von diesem spektakulären Tag bleibt ist ein gelungener Theaterabend in einzigartiger Atmosphäre – und ein weiteres Zitat des Großmeisters, das noch lange in meinem Kopf nachhallt:

 

Mad world - mad kings - mad composition!

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Ulrike (Samstag, 07 Dezember 2019 11:08)

    Jetzt sehne auch ich mich nach Theaterluft!