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4 Mythen über Politiker, die einfach falsch sind

Ein Leben auf Kosten des Steuerzahlers, einen Terminplan zum Füße hochlegen, schleppende Untätigkeit bis hin zum Erstarren des gesamten Staatsapparates: Der Beruf des Politikers gehört wahrlich nicht zu den angesehensten in unserer Gesellschaft. In einer Umfrage aus dem Jahr 2012 schätzen nur 14 % der Befragten den Job der Mandatsträger auch als zukünftig wichtig in unserer Gesellschaft ein. In der "Ansehens"-Statistik des forsa-Instituts 2015 sind Politiker sogar am absoluten Ende der Tabelle zu finden, nur die Schlusslichter "Mitarbeiter einer Telefongesellschaft" bzw. "Mitarbeiter einer Werbeagentur" sowie der Versicherungsvertreter stehen in der Reputation der meisten Bundesbürger noch mieser da. 

Mit diesen Zahlen und einschlägigen Vorurteilen im Blick verwundert es nicht, dass ich auf meine Berichte aus dem Praktikum im Bekanntenkreis nicht selten befremdliche Nachfragen wie die eines Freundes erntete, der nach kurzem Zögern fragte, ob "die da im Bundestag" wirklich so wenig arbeiten würden, wie es immer hieße. 

 

Spätestens mit dieser Bemerkung war bei mir die Entscheidung zu diesem Blogeintrag gefallen: Bei aller, sicherlich auch berechtigten, Kritik an den großen Köpfen der Politik sollten so einige Mythen schnellstens ins Land der Märchen verbannt werden. Welche aus meiner eigenen vierwöchigen Erfahrung heraus definitiv dazugehören, seht ihr in diesem Ranking.    

Auch zu später Stunde brennt im Bundeskanzleramt noch Licht.
Auch zu später Stunde brennt im Bundeskanzleramt noch Licht.

#1: "Politiker haben einen ziemlich entspannten Arbeitsalltag - wenn sie überhaupt arbeiten." 

Den Klassiker unter den Politikermythen möchte ich gerne gleich vorneweg entkräften.

 

Denn der Arbeitsalltag eines Abgeordneten ist alles andere als "entspannt" - zumindest habe ich das als Praktikant im Büro des CDU-Abgeordneten Dr. Stefan Kaufmann gänzlich anders erlebt. Besonders die Tage in der Bundeshauptstadt Berlin sind lang, die rund 20 Sitzungswochen im Jahr sind dicht getaktet und bieten kaum Raum zum Luftholen. Die Outlook-Terminkalender der Parlamentarier zeigen meist sogar überlappende Termine an! Um die Mittagszeit und am Nachmittag, wenn die meisten Sitzungen anstehen, eilen die Volksvertreter hektisch von Tür zu Tür, ihren eigenen schwer beladenen Schreibtisch kriegen sie bei Tageslicht meist gar nicht mehr zu sehen. Dabei warten auch dort wichtige Dokumente, die bearbeitet werden müssen und somit zwangsläufig in arbeitsame Abendschichten verlegt werden: Massen an Einladungsschreiben wollen gesichtet, Tagesordnungen durchblickt und Aktennotizen wertgeschätzt werden. Kurzum: Weder die Büromitarbeiter der Abgeordneten noch der Abgeordnete selbst liegen auf der faulen Haut - das Alltagsgeschäft eines Politikers lässt keinen Raum zum "kurz mal die Füße hochlegen". 

Einer von vielen Wahlkreisterminen in Stuttgart: Dr. Stefan Kaufmann (hinten links) im Gespräch mit AWO-Vertretern und Bundestags-Kollegin Ute Vogt (SPD, vorne links).
Einer von vielen Wahlkreisterminen in Stuttgart: Dr. Stefan Kaufmann (hinten links) im Gespräch mit AWO-Vertretern und Bundestags-Kollegin Ute Vogt (SPD, vorne links).

#2: "Politiker arbeiten vielleicht in den Sitzungswochen viel. Spätestens in den vielen sitzungsfreien Wochen aber machen sie sich ein schönes Leben."  

Auch dieser leider zu kurz gedachte Satz ist ein absoluter Dauerbrenner unter den gängigen Mythen zur Lebensgestaltung eines Politikers.

 

Anders als manch anderes nationales Parlament setzt der Deutsche Bundestag neben der Arbeit am und ums Rednerpult in Berlin völlig zurecht auf das engagierte "Hereintragen" der Demokratie in die Heimatstädte und -orte der Volksvertreter, mögen sie auch noch so entlegen sein. 

Besonders als direkt gewählter Abgeordneter, zu denen sich auch Dr. Stefan Kaufmann zählen darf, ist man daher auch außerhalb der Sitzungswochen kräftig gefordert. Während meines Praktikums durfte ich beide Seiten kennenlernen und unterstützte jeweils zur Hälfte das Berliner Büro bzw. das Wahlkreisteam meines Chefs am Einkaufszentrum Milaneo. Als besonders interessant und herausfordernd durfte ich dabei die riesige Bandbreite, die durch die Zweiteilung des Mandats entsteht, erfahren: Während an den Verhandlungstischen in Berlin die jeweilige fachliche Kompetenz der MdBs gefordert ist, verlangt der Wahlkreis einem Politiker und seinem Büro wirklich alles ab. Schließlich ist außerhalb der Berliner Blase viel mehr als nur die eine fachliche Nische relevant, hier müssen sich die Abgeordneten als Allrounder in allen Disziplinen beweisen. Von "Freizeit dahoim" kann daher nicht die Rede sein: Kaum zurück in Stuttgart möchte beispielsweise der eigene Kreisverband über die wichtigsten Begebenheiten aus der Hauptstadt unterrichtet werden, die lokalen Sozialverbände laden zum Meinungsaustausch oder - tatsächlich das arbeitsintensivste Feld im Wahlkreis - die Bürgerschaft meldet sich auf dem Postweg zu Wort. Jedem eine Antwort zu geben gehört nicht nur zum guten Stil eines volksnahen Abgeordneten, sondern ist auch ein Stück weit Ehrensache. Zur Bewältigung dieser weiteren Aufgaben sind die sitzungsfreien Wochen wie geschaffen - richtig Urlaub gibt es dann höchstens an einigen wenigen Tagen im Sommer, wenn die Parlamentsarbeit für kurze Zeit vollständig ruht und auch im Wahlkreis die meisten Leute verreist sind. 

Wenn der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung - wie hier im großen Saal des Marie-Elisaebeth-Lüders-Hauses - zusammenkommt, sitzt die Expertise automatisch mit am Tisch.
Wenn der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung - wie hier im großen Saal des Marie-Elisaebeth-Lüders-Hauses - zusammenkommt, sitzt die Expertise automatisch mit am Tisch.

#3: "Politiker haben kein Fachwissen und von nichts wirklich Ahnung." 

Pauschal lässt sich dieser Vorwurf sicherlich nicht entkräften, wie in jedem Job gibt es auch unter Parlamentariern mit Sicherheit "schwarze Schafe". Er ist zumindest aber zu banal, um für jeden der 709 Bundestagsabgeordneten Gültigkeit zu besitzen. 

 

Viele der Abgeordneten bringen beim Eintritt ins Parlament nicht nur ihren eigenen beruflichen Hintergrund mit - als Juristen, Politikwissenschaftler, Unternehmer oder Handwerksmeister - sondern arbeiten sich schnell in ihr ausgewiesenes Fachgebiet ein. Bei der Verteilung der Fraktionsmitglieder auf die einzelnen Ausschüsse wird dabei so gut es geht auf die Vorqualifikationen geachtet: So ist im Bildungsausschuss die Quote an ehemaligen Professoren und Lehrern vergleichsweise höher, im Rechtsausschuss debattieren in der Mehrheit der Fälle ausgewiesene Juristen und der Umweltausschuss kann sich der Unterstützung vieler studierter Biologen sicher sein. Allgemeingültig ist das nicht, der Alltag aus dem Innern des Bundestages zeigt aber: Politiker wissen innerhalb ihrer Fachgebiete meistens sehr wohl, über was sie reden und besitzen in den meisten Fällen auch den Ehrgeiz, Wissenslücken im Gespräch mit Bürgern und Experten bestmöglich aufzuarbeiten.  

Nicht nur im großen Plenarsaal des Reichstages diskutiert der Deutsche Bundestag über die Zukunft unseres Landes.
Nicht nur im großen Plenarsaal des Reichstages diskutiert der Deutsche Bundestag über die Zukunft unseres Landes.

#4: "Ich seh die ja eh nie im Bundestag sitzen!" 

Tatsächlich der einzige Mythos, bei dem zunächst ganz klar gesagt werden muss: Ja, stimmt! Doch ein dickes fettes "Aber..." darf gleich hinterher geschoben werden!

 

Mit Ausnahme der großen Regierungserklärungen oder Feierstunden sind die Reihen des Plenarsaals tatsächlich so gut wie nie zur Gänze gefüllt. Das liegt insbesondere am "Layout" des Hohen Hauses, das sich in Deutschland seit jeher als "Arbeitsparlament" versteht. Anders als beispielsweise im britischen Pendant, einem klassischen "Redeparlament", findet eben nicht der Löwenanteil der Abgeordnetenarbeit im Plenum statt. Allzu komplex möchte ich es in all der Kürze nicht machen - vielleicht nur so viel zum Hintergrund, den auch ich erst wirklich "live" in Berlin verstehen konnte und in vielen Diskussionen um die Arbeitsmoral bei Politikern immer noch zu kurz kommt: Die Vorgänge im Vollplenum des Bundestages, das nur die letzte Instanz eines Gesetzes darstellt, möchten emsig vorbereitet werden. Im Deutschen Bundestag gibt es dafür mehrere dutzend Ausschüsse und Gremien, die teils parallel zu den Sitzungen im Reichstag tagen. So lassen sich auch die meist eher gelichteten Reihen der Fraktionen erklären: Zu den jeweiligen Tagesordnungspunkten sind häufig nur die Experten der Fraktionen anwesend - der Rest des Parlaments legt sich derweil nicht etwa zum kurzen Schläfchen auf die Schreibtischplatte, sondern bereitet die weiteren Debatten in zahllosen Parallelsitzungen und Gesprächen so gut wie möglich vor.